Erster Einsatz von Marit in Hegyshalom

Was habe ich mir nur gedacht, mit 15 anderen Autos und 60 mir bis dahin fremden Menschen irgendwo an die Grenze zu den Flüchtlingen zu fahren. Im Auto Richtung Treffpunkt in Zürich habe ich nur geheult, ich lasse meine beiden Mädchen 1.5 und 3.5 Jahre zurück und fahre in etwas total Ungewisses. Aber dann packt mich der Mut wieder: den Flüchtlingen geht es so schlecht, meine Kids haben ja Essen und ein sicheres Dach über dem Kopf, also reisse ich mich zusammen.

Wir sind seit etwa 36 Stunden unterwegs mit 15 Tonnen Hilfsmittel. Es regnet immer noch pausenlos, es ist eiskalt.
Lagebesprechung in Zagreb, Fazit: es macht keinen Sinn, dass alle 60 Personen an einen Platz gehen, es muss unauffälliger sein.

  1. 10 Personen nach Bapska (SLO) -> Grenzübergang (es wurde ein Loch in den Zaun geschnitten, warmes Essen kochen nur in der Nacht erlaubt, Zelt und und Shelter in der Nacht erbauen, schlafen nur im Auto.
  2. Zakany 10 Personen, Dorfbewohnern helfen Essenspakete zu machen, alle 2h kommen 1000 Flüchtlinge mit Bussen an und steigen in Züge um, schlafen bei Dorfbewohnern.
  3. Nickelsdorf-Hegyshalom: Flüchtlinge bleiben ca. 3h, um über Grenze zu gehen, brauchen Medis, Essen, Kinder versorgen, Kleiderausgabe und Shuttelservice möglich LEGAL von Hegyshalom nach Nickelsdorf“
    Ich gehe mit der 3.Gruppe mit.

Unglaublich, dass wir innert 30 Minuten 6 Zelte aufgestellt haben, Licht installiert , Material verstaut und Essen gekocht. Alle arbeiten zusammen, Hand in Hand, jeder das, was er kann.
Die ersten Flüchtlinge kommen in ca. 30 min, ca 1000 Menschen auf einmal. Dann sind sie da: es ist laut, eiskalt, überall weint und jammert es, es stinkt, zum Teil sind sie ohne Schuhe unterwegs bei 0 Grad, durchnässt, vollgeschissene Kinder, weil seit Tagen keine Windel da war.... 100% Unmenschlichkeit.Es ist so elend katastrophal, all die weinenden und schreienden Babys, die total entkräfteten Mütter, zum Teil mit 4 Kindern alleine unterwegs.... ich kann nicht denken, ich handle nur, vergesse zu essen oder zu trinken, ich funktioniere....
..... nach 8h mit 4 Zügen und je 1000-2000 Menschen gehe ich schlafen, 2-3 Stunden im Auto im Schlafsack.

Ich finde keine Worte, was da passiert ist.

Bevor die Menschen in Hegyeshalom aus dem Zug steigen dürfen, sind sie 10-20 Stunden im Zug eingesperrt. Ohne Licht. Ohne Wasser. Ohne Heizung. Durchnässt und durchfroren vom Regen, durch den sie vor der Zugfahrt zum Teil tagelang gelaufen sind.

Wir dürfen am Tag vom Bürgermeister aus kein warmes Essen kochen, machen deshalb Tee zu Suppe mit Einlagen. Ausser uns ist dort niemand. Das Rote Kreuz und die UNHCR verteilen vereinzelt Müsliriegel. Das Rote Kreuz gibt kleine Sandwiches und Wasser raus, aber Hahnenwasser dürfen wir NICHT in ihrem Lager holen, um in unseren Wasserkanister Suppe und Tee zu kochen. Dies bekommen aber nur die schnellen jungen Männer ab. Alte, Kranke, Kinder, Babys würden gar nichts bekommen, wenn wir nicht mehr da sind.

Dieser Gedanke ist nicht ertragbar. Wo ist Europa, wo sind die 7 Millionen Spenden von der Glückskette?? Das ist ein Witz!!! Das rote Kreuz schikaniert uns. Sie haben Spenden gesammelt für Flüchtlinge, ihr Warenlager neben unseren Zelten ist voll, sie aber sagen, sie hätten nichts und wollen es Ungaren zu Weihnachten schenken.
An der Grenze will man uns nicht durchlassen mit den Autos voller alter und kranker Menschen und kleiner Kinder, die wir mitnehmen, damit sie nicht mehr in der Kälte laufen müssen. Wir seien Schlepper und ein nächstes Mal zeigen sie uns an oder verhaften uns. Was zum Teufel sind das für Menschen. Schlepperei ist, wenn unangepasste Preise verlangt werden, wir tun alles gratis.

Aber dann gibt es da doch noch menschliche Beamte: die ungarische Polizei ist einfach wunderbar. Sie holt mich und eskortiert mich zu den Bedürftigsten am Bahnhof nach Ankunft, dann kann ich diese Leute bis 50m an die Grenze fahren.

Wir shutteln Kinder, Verletzte, Alte, die den Weg kaum schaffen würden, verteilen Essen, Tee und Kleider. Ich habe noch nie dankbarere Mütter und Kinder gesehen, dabei machen wir so wenig und sie bräuchten so viel mehr Hilfe.

Ich hatte am 2.Tag eine Frau im Auto mit einem 10 Tage alten Kind, es kam in Mazedonien am Strassenrand auf die Welt, ohne Vor- oder Nachsorge, geschweige denn irgendwelche medizinische Hilfe.

Maximalste Shuttelfahrt war im Rang Rover: (Sitze hinten abgeklappt: grössere Fläche) 4 Elternteile, 7 kleine Kinder; Beifahrersitz 2 Erwachsene ein Kind, auf meinem Schoss am Steuer ein Kind.

Nach 4 Tagen: das Elend kennt keine Grenzen! Alle sind total müde, völlig am Ende, 2-3h Schlaf pro 24h, es ist eiskalt, nass und nur noch wenig Material, das wir haben.

Bei all dem Elend versteckt sich hier jeder zwischendurch für ein paar Tränen. Auch ich - und dann werde ich wieder aufgefangen von anderen Helfern. Von einem Lächeln. Von dankbaren Augen. Solidarität habe ich in dieser Form noch nie erlebt.