Lesbos Marit Neukomm Dezember 2015

26. Dezember 2015:

Ich reise mit 6 weiteren Helfern wieder nach Lesbos. Vielen Dank an alle, die mitkommen und dort die Menschen bei ihrer Ankunft in Europa unterstützen : Amanda Bailifi, Daniela Güdel, Carolin Steiner Linder, Fabian Steiner, Pascale Bieri, Stefan Hollinger.

Wir reisen mit insgesamt 370kg Hilfsgütern und Spendengeldern nach Lesbos.

Montag 28.12.2015

Angekommen und chinesischen Laden abgecheckt: Sie haben 60 Schlafsäcke die wir morgen kaufen und den frierenden Menschen im Moria Camp bringen. Im Moria Camp sind Amanda und Daniela, beides Ärzte, und haben sich beim HPP (Help Point Projekt= Ärztezelt ausserhalb des Camps) für die nächsten Tage verpflichtet, dort zu helfen. Es sind grossartige Menschen, die dort arbeiten, die aber auch nach 3 Monaten völlig erschöpft und selbst krank sind, und so froh waren, frische Ärzte voller Tatendrang und Energie einführen zu können. Täglich kommen 250-300 Patienten ins Zelt!!
Im Skala Lighthouse Camp haben wir all unsere Schuhe und Daunenjacken abgegeben. Schuhe sind hier Gold wert! Ich hab mich für die Nachtschicht in Skala eingetragen und dann die beiden Ärzte nach Moria gefahren. Zurück in Skala (pro Weg 1 Stunde) versuchte ich zu schlafen. Muss ja ready für die Nachtschicht sein.

29.12 und 30.12.2015

Die erste Nachtschicht im Camp war ruhig aber kalt, nur am Morgen kamen 3 Boote an, und wir hatten richtig Zeit, uns um die Menschen zu kümmern. Wir haben sie neu eingekleidet, mit Tee und Essen versorgt und die Gesellschaft der höflichen, netten und dankbaren Menschen genossen.
Am Nachmittag war wunderschönes Wetter, also hat Volunteers for Humanity einem Fischer aus Skala das Benzin bezahlt, um 3 Helfer mit 3 Gummibooten an die extrem felsigen Ufer der nordöstlichen Küste von Lesbos zu fahren, um dort die Ufer von den Rettungswesten zu befreien. Diese orangen und gelben Westen wirken leider wie ein Magnet für ankommende Boote. Es ist dort extrem schwer, sicher zu landen und die Menschen schnell zu versorgen, es führt kein Weg an diese Uferstellen.
Deshalb ist es so wichtig, dass diese Signalwirkung verschwindet, indem wir die Ufer säubern.
Am Abend sind wir einkaufen gefahren und haben eine Grossladung Lebensmittel mit ins Camp genommen, unter anderem Thunfischdosen und Eier. Wichtige Proteine, die sie zum Teil wochenlang nie mehr zu sich genommen haben.
Ebenfalls waren wir noch im Moria Camp und haben dort unsere Ärztinnen Daniela und Amanda besucht, die das HPP Medical Zelt teilweise alleine schmissen, ganz grosse Achtung, wie ihr das gemeistert habt!
Im Moria Camp besuchten wir auch das Wild Lemon Tree Zelt, das von dem Schweizer Juval gegründet und geführt wird.
Er versorgt mit seinen Helfern täglich die Menschen von 6 Uhr morgens bis 0 Uhr nachts mit mehreren hundert Litern heissem, süssem Tee, x Kilogramm Keksen und ca. 300 kg Früchten.
Dafür braucht er pro Tag 1000 Euro, Volunteers for Humanity hat diesem Versorgunszelt Geld für 1.5 Tage Lebensmittel gespendet.

1. Januar 2016

Die 2. Reise nach Lesbos ist zu Ende. Wieder zurück zu sein fühlt sich merkwürdig, manchmal gar ein bisschen falsch an. Denn die Menschen dort brauchen dringend Hilfe, immer noch! Als ich gegangen bin am 31.12.,hat es geschneit. Trotz bissiger Kälte und hohem Wellengang - die Boote kommen weiter. Man denkt sich: also bei diesem Wetter wird wohl kein Schlepper ein Boot losschicken. Doch! Sie tun es, dies gleicht bei diesem Wetter einem Selbstmordkommando!!
Die EU versagt auf ganzer Linie, doch was auf europäischer Regierungsebene scheitert, funktioniert bei freiwilligen Menschen aus der ganzen Welt: Sie arbeiten zusammen, miteinander für das gleiche Ziel.
Noch nie habe ich eine solche Solidarität unter den unterschiedlichsten Menschen kennengelernt, egal, von wo du bist, wer du bist, was du in deinem Land tust, hier in Lesbos krempeln alle die Arme hoch und arbeiten für das Gleiche - den notleidendsten Menschen in Europa zu helfen.  Jemand hat geschrieben (weiss leider den Namen nicht mehr): "es ist eine unverdorbene menschliche Nähe, die man nur erlebt, wenn man hier vor Ort ist". Welch treffende Worte das sind!
Alle, die sich dort engagieren, geben einem die Hoffnung zurück, in einer Welt zu leben, wo es doch noch Menschlichkeit und Nächstenliebe gibt und zwar unabhängig von Religion oder Nationalität. Die Freundschaft, die man dort zu anderen Helfern knüpft, die Begegnungen mit den ankommenden Menschen brennen sich ein Leben lang in dein Herz und beeinflussen dein weiteres Dasein und Handeln.
2 kleine Gesten, die ich nie vergessen werde:
  • ein ca 7 Jahre altes Mädchen habe ich neu eingekleidet, mit Tee und Essen versorgt, dann mit angemalten Ballons und Seifenblasen zum Lächeln gebracht. Als sie weiter zogen, hat sie mir ein Bonbon aus ihrer Tasche gegeben, wollte es zurückgeben, sie hat ja sonst fast nichts. Nein. Sie gab es mir wieder, ein 7 jähriges Mädchen auf der Flucht verschenkt sein Bonbon! Meine Tränen standen zuvorderst!!
  • Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern aus Aleppo: sie kam barfuss mit nassen Hosen aus dem Boot zu uns ins Camp, alle haben trockene warme Kleidung und Schuhe erhalten, dann wollte ich sie zur Feuerstelle bringen, wo sie Tee und Suppen haben können. Sie sagte: "no please help" und zeigte auf alle nassen Kleider, die in einer Ecke des Kleiderzeltes lagen. Sie begann, die nassen Kleider zusammen zulegen, fein säuberlich, ich half ihr dabei. Dachte erst, sie wolle sie mitnehmen. Nein, wollte sie nicht, sie wollte kein Chaos hinterlassen. Wie umsichtig, galant und herzlich von ihr.
Diese Momente vergisst man nie!