Belgrad Nicole Grogg Februar 2017

Die Bedingungen, unter denen die Menschen in Belgrad „leben“,  will man sich nicht einmal in einem Albtraum vorstellen. In den Baracken ist es kalt und dunkel, dicker Rauch durchzieht den Raum. Zum Glück erhalten die „Bewohner“ mittlerweile von einer Organisation jeden zweiten Tag Brennholz und nur noch die wenigsten verbrennen Plastik oder alte Bahnschwellen. Trotzdem beisst der Rauch in den Atemwegen, wenn man sich etwas länger in den Baracken aufhält.

Sanitäre Anlagen standen den Menschen in Belgrad sehr lange Zeit nicht zur Verfügung. Einzelne Organisationen haben in den letzten Tagen mobile WCs aufgestellt und Waschbecken gebaut. Trotzdem ist das ganze Areal mit Müll, und teilweise auch mit Fäkalien übersät. Der Graben zwischen zwei Baracken diente lange Zeit als WC und ist deshalb eine grosse Gefahr für die Gesundheit. Gerade jetzt, wo die Temperaturen wieder steigen, wird auch der Gestank immer unerträglicher.

Die Menschen in den Baracken erhalten zweimal pro Tag Essen. Am Mittag durch die Organisation Hot Food Idomeni, am Abend durch No Border Kitchen. Für beide Essensausgaben heisst es, eine Stunde in der Schlange anzustehen und zu warten, bis man an der Reihe ist. Damit auch die Schwächsten zuhinterst eine Mahlzeit erhalten, wird die Reihe von Freiwilligen betreut. Personen, die vordrängen, werden mit einem Lächeln und etwas Witz dazu aufgefordert, sich hinten anzustellen.

Fast noch unerträglicher als das Anstehen seien die Fotografen, welche die Menschen in den Baracken seit Monaten täglich belagern, erzählt mir ein Afghane beim Anstehen für die Essensausgabe. Jeden Tag treffen wir auf Leute, die - ohne zu fragen - Fotos machen, teils von den Gesichtern aus nächster Nähe und ohne eine Erlaubnis einzuholen. Mir kam es so vor, als seien die Journalisten auf einem Safari-Ausflug. Ich schämte mich zutiefst für diese Leute und wollte nicht auch noch Bildern von den Personen machen. So entschlossen wir uns, nur aus der Ferne oder dann von hinten zu fotografieren. War ein Gesicht zu sehen, haben wir gefragt, ob das Bild verwendet werden darf.

Bei der besagten Küche von Hot Food Idomeni haben wir eine Woche lang mitgeholfen, Essen vorzubereiten, dieses zu verteilen und die ganze Küche jeden Abend wieder sauber zu putzen . Am Morgen werden jeweils als Erstes die Kartoffeln geschnitten, diese werden bereits immer am Vortag sehr gründlich gewaschen. Ebenfalls am Vortag werden Zwiebeln und Knoblauch geschält, Gemüse gewaschen und zerkleinert sowie die Basis für das kommende Essen vorbereitet (kiloweise Zwiebeln anbraten z.B.). Die Gruppe ist ein gut durchmischtes Team aus vielen verschiedenen Ländern: USA, England, Neuseeland, Japan, Luxemburg und auch der Schweiz. Das Kernteam bleibt bestehen, die Freiwilligen wechseln täglich bis monatlich.  Mit guter Musik und viel Freude wird das Essen zubereitet. Alles ist sehr hygienisch. Nichts verlässt die Küche, was der Chefkoch Barry nicht auch seiner Mutter servieren würde.

Die Verteilung von Hot Food Idomeni findet an zwei Orten statt. Der eine Ort ist bei den Baracken, die andere Stelle im Camp Obrenovac. Dieses Camp wurde im Winter errichtet, um Leute aus den Baracken dort unterzubringen. Die Personen in den Flüchtlingscamps um Belgrad können gratis die Öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, um in die Stadt zu kommen. Die Camps sind offen.

Mit einer Ausnahme haben wir jeweils geholfen, dass Essen bei den Baracken zu verteilen. Es gab verschiedene Aufgaben: Schöpfen, Servieren und bei den Linienkontrolle zu helfen. Sowohl das Servieren wie auch die Kontrolle beim Anstehen sind schwierige Arbeiten. Beim Servieren ist es fast schon beschämend, wenn ein alter Mann oder auch ein Kind jedes Mal ein nettes „Thank you“ sagt, obschon er gerade 1 Stunde für seine Mahlzeit anstehen musste. Und dies bereits seit Monaten.

Die Kontrolle beim Anstehen ist schwierig, da man als Aufpasser fungieren muss. Doch damit alle ein Essen bekommen, ist dies leider nötig. Und mit einem breiten Lachen reichte es meistens schon, nur auf die entsprechende Person zuzugehen und nett "Bitte, steh hinten an" zu sagen. Sitzgelegenheiten gibt es bei den Baracken nicht. Die meisten essen am Boden oder auf den sehr schmutzigen Mauern um die Baracken. Bei schlechtem Wetter wird die Verteilung des Essens unter das Vordach einer Baracke verlegt. Die Linie zum Anstehen wird jeweils ca. 40 Minuten bevor der Essenstruck auf das Gelände fährt , gebildet, damit die Verteilung speditiv gestartet werden kann. Die Linienführung bei schlechtem Wetter so aufzuziehen ist beinahe unmöglich und so verzögerte sich die Essensausgabe an unserem letzten Tag um gut eine Stunde, da das Chaos am Anfang zu gross war.

Im Camp Obrenovac halfen wir einmal bei der Essensausgabe. Diese findet im Camp an zwei Orten gleichzeitig statt, um den Menschen schneller das Essen ausgeben zu können. Im Camp gibt es zwei kleine Essensräume mit Sitzgelegenheiten. So können sie sich wenigstens hinsetzen, um die Mahlzeit zu sich zu nehmen.

Die Stimmung war an beiden Orten bedrückend. Ernüchterung und langsam aufsteigende Resignation liegen in der Luft. Viele sind seit Monaten ja manche seit Jahren auf der Flucht und sind nun in Serbien gestrandet. Von den schlimmen Verhältnissen in Ungarn wissen und fürchten sich alle. Die meisten haben bereits versucht, über die Grenze zu kommen, und kamen verletzt wieder zurück nach Belgrad.

Bei einem abendlichen Besuch bei den Baracken wurden wir von einer Gruppe aus Afghanistan zum Tee eingeladen. Dabei wurden wir gefragt: „Wenn ich auf die Schweizer Botschaft in Belgrad gehe, erhalte ich dann ein Visum, um in die Schweiz zu reisen? Wann öffnen die Grenzen? Warum sind die Grenzen geschlossen? „ Auf all diese Fragen konnten wir keine Antwort geben. Wir wollten die Leute ja nicht mit der Nachricht enttäuschen, dass Ungarn noch einen weiteren Grenzzaun bauen will.

Dank den grosszügigen Spenden konnten wir vor Ort für Hot Food Idomeni folgende Bestellung machen:

242 kg Orangen
209 kg Äpfel
14,4 kg Paprika/Peperoni
162 kg Blumenkohl
50 Kg Grünkohl
50 kg Knoblauch
300 kg Zwiebeln
100 kg Karotten
248 kg Chabis
21 kg Ingwer
300 kg Kartoffeln

Diese Bestellung reicht für 5-6 Tage. Zudem konnten wir Hot Food Idomeni das Geld für drei weitere Bestellungen übergeben.

Aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen in den Baracken haben wir uns zudem entschlossen, die geplante Reinigungsaktion des Baracken-Areales finanziell zu unterstützen. In den nächsten Tagen wird der ganze Abfall mit den Fäkalien von einer Firma entsorgt.